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27 diciembre 2023

(₸X) Der jodelnde Teddybär

Foto de Vera Krutisch

(Eine Erzählung von Vera Krutisch für Irene, Vega und Alfonso Fernández Miguélez)

Es waren einmal drei Plüschtiergeschwister, um es euch ganz genau zu erzählen, gehörten sie der Gattung der mitteleuropäischen Teddybären an. Die lebten im Lande Tirol, Teilgebiet eines Staates, der sich Österreich nannte. Majestätische hohe Berge beherrschten diese Landschaft, die Alpen, mit beeindruckenden bizarren Felswänden, deren Farbe vom hellsten Grau über zarte, fast violette Töne bis zu einem satten Anthrazyt wechselte, je nach Tageszeit und Lichtverhältnissen, und auf deren eisig strahlenden Gipfeln der Schnee nie ganz wegschmolz. Tief eingefurcht in diese Berge lagen enge Täler mit saftig-grünen fetten Wiesen, wo gut genährte und mit nichts aus der Ruhe zu bringende Kühe weideten, deren pralle Euter randvoll mit sahniger Milch gefüllt waren. Die Bauern, die diese Kühe zu ihrem Besitz zählten, wohnten in den kleinen, über die Täler verstreuten Dörfern, in hübschen ein- oder zweistöckigen, zu ebener Erde sauber weiß getünchten Häusern, während die oberen Stockwerke ganz aus Holz gebaut und mit schön geschnitzten Balkons verziert waren. Alles war so makellos reinlich und adrett, dass man sich auf den Straßen kaum auszuspucken getraute.

Hier war es also, wo unsere drei Plüschtiere lebten. Auf den ersten Blick schienen sie ganz gewöhnliche Teddybären zu sein und nichts ließ darauf schließen, dass jeder von ihnen mit seiner eigenen und ganz besonderen Gabe gesegnet war, Zauberkräfte, die sie unter ihren Artgenossen hervorhoben und diese Tiere als ganz einzigartige und außerordentliche Wesen kennzeichneten. 

Der älteste, ein stämmiger Teddy mit blondem Fell, trug stets Lederhosen, wie es in dieser Gegend üblich war, und einen kleinen grünen Hut mit Gamsbart, der ihm ausgezeichnet stand und seinem Gesicht einen heiteren und unbeschwerten Ausdruck verlieh. Er hieß Jodlerseppl und er konnte JODELN! Daher auch sein Name. Aber auch wenn es an sich schon eine Besonderheit ist, dass ein Teddybär jodeln kann, so machte diese Fähigkeit nur einen Teil seiner Gabe aus, obwohl sie zur Ausübung seiner Zauberkräfte unbedingt notwendig war. Dieser Bärenbub pflegte sich nämlich mitten im Dorf aufzustellen und den Blick auf die Wildspitze zu richten. Das ist der höchste Berg Tirols. Sodann holte er ganz tief Luft, bis seine Stoffbrust fast aus den Nähten platzte und ließ gleich darauf aus vollstem Halse ein melodisches langgezogenes HOLAREIDIIIII ertönen. Von seiner Kehle ausgehend breiteten sich die Schallwellen unaufhaltsam bis hin zur Wildspitze aus, wo sie sich von der Felswand wieder abstießen und in Form eines Echos, eines etwas schwächeren REEEIDIIIIs, wieder zu ihm zurückkehrten. Und genau in jenem Augenblick, da die letzten Noten im Raum verklangen, geschah das wirklich Wunderbare: aus heiterem Himmel fielen plötzlich erste Regentropfen zur Erde, zuerst nur schüchtern und spärlich, später zahlreicher und ergiebiger. Jodlerseppl half der Angelegenheit nun mit einer zweiten Jodelstrophe nach und ließ ein kräftiges HOLAREDIJIIII vom Stapel, das ebenso wie sein Vorgänger pünktlich vom Echo als REEEEDIJIIII nachgeahmt und zurückgegeben wurde und dies war das Startzeichen für einen richtigen, anhaltenden, feinen Schnürlregen, der nun unablässig vom Himmel fiel. Angesichts der großen Bedeutung des Regens für die Tier- und Pflanzenwelt und somit auch für den Ackerbau und die Viehzucht und – zusammenfassend – für den Lebensunterhalt und die unbeschwerten wirtschaftlichen Verhältnisse des Landes und seiner Bewohner, könnt ihr euch vorstellen, wie sehr man Jodlerseppl in seiner Heimat schätzte. 

Sein jüngerer Bruder, Sonnenhansl, war ein brauner, etwas kleinerer und nicht so kraftstrotzender Bär. Von den drei Geschwistern war er es, der am meisten von seiner Heimat angetan war. Seine Vaterlandsliebe zeigte er allen, ob sie nun davon wissen wollten oder nicht, mit einer Aufschrift, die ihm seine Großmutter auf seinen Pullover gestickt hatte, auf dem zu lesen war: "I ♥ Austria” und das bedeutet - wie ihr wisst - “Ich liebe Österreich”. Nichtsdestoweniger war es nicht so sehr sein bemerkenswertes Heimatgefühl, das diesen Teddy charakterlich am stärksten prägte, sondern vielmehr sein Sinn für alles Praktische und mehr noch sein sonniges Gemüt und freundliches Wesen, Eigenschaften, die sich in seinem Lächeln widerspiegelten, das zweifellos das wärmste, herzlichste, glücklichste und ansteckendste Lächeln auf Erden war. Wer zur Zielscheibe einer solchen Ladung liebevoller Zuneigung wurde, konnte einfach nicht anders als zurückzulächeln und fühlte sich sogleich wunderbar leicht und frei von Sorgen und Harm oder - mit anderen Worten - er verwandelte sich umgehend in das glücklichste Lebewesen, das weit und breit zu finden war. So ansteckend war Sonnenhansls Lächeln, das ihm nicht einmal die Sonne widerstehen konnte und aus ihrem Versteck hervorkam, so bewölkt sich der Himmel auch nur wenige Augenblicke zuvor gezeigt haben mochte. Aus diesem Grunde nannten die Leute diesen Bären Sonnenhansl. Ein so strahlendes Persönchen, wie diesen Teddy, konnte man nur gernhaben und tatsächlich war er im Laufe der Zeit zu einem der beliebtesten Einwohner des Dorfes geworden. 

Das jüngste Geschwisterchen war ein Mädchen und was für ein hübsches kleines Bärenmädchen das war! Ihre winzigen Schuhknopfäuglein waren schwarz wie Kohlen und funkelten wie zwei leuchtende Sternchen aus ihrem Pelz hervor. Ach und ihr Pelz! So blütenweiß und glänzend war ihr Fell, wie man es nie zuvor an einem anderen Bären, oder Bärin, gesehen hatte. Dieses Bärenkind bezauberte wirklich alle mit seiner sanften, ruhigen, liebevollen Art. Auf ein so zärtliches und feinfühliges Wesen konnte niemand ernstlich böse werden. Die Kleine hörte auf den Namen Schneeliesl. Ihre bestgehütetsten Schätze waren eine rot-weiße Wollmütze und ein gleichfarbiger Schal. Diese Kleidungsstücke liebte sie über alles, denn ihre Großmutter hatte sie eigens für sie gestrickt. Kaum konnte sie den Winter erwarten und sobald die erste Kälte ihren Einzug ins Land hielt, setzte sie ihre Mütze auf und – zugegeben – sie sah damit wirklich ganz ungemein reizend aus! Das Unglaubliche daran war jedoch Folgendes: Kaum hatte sie sich die Mütze über den Kopf gestülpt, da segelten schon die ersten dicken Schneeflocken vom Himmel, zuerst nur vereinzelt, doch dann, wenn sie sich auch noch den Schal um den Hals schlang, da begann es so dicht zu schneien, dass man die Hand nicht mehr vor den Augen sehen konnte und bald lagen die Felder und Häuser unter einer schweren glitzernd weißen Decke versteckt. Es wird euch nicht verwundern, wenn ich euch sage, dass besonders die Bauernkinder nichts über Schneeliesl kommen ließen und sie keinesfalls missen wollten, denn ihr verdankten sie unzählige überaus lustige Nachmittage, mit Schneeballschlachten, Rodeln und Schifahren. 

Nun aber, auch wenn wir euch hier so eingehend geschildert haben, was diese Teddybären alles konnten, dürft ihr nicht glauben, dass sie deshalb allmächtig gewesen wären. Manchmal nahm das Wetter seinen eigenen Lauf, so sehr sich unsere Plüschtiere auch anstrengen und bemühen mochten, ihren Einfluss darauf auszuüben, denn nichts ist perfekt auf dieser Welt, auch nicht die besonderen Gaben und zuweilen schlägt selbst der ausgeklügeltste Zauber fehl. Und so kam es, dass es eines Winters ebenso heftig wie anhaltend schneite, obwohl Schneeliesl während eines guten Teils der Saison weder ihre Mütze noch ihren Schal tragen konnte. Sie hatte sie nämlich im Sommer in irgendeinem versteckten Winkel des Hauses so gewissenhaft verwahrt, dass sie sie beim besten Willen nicht mehr wiederfinden konnte, als die Kälte einsetzte. Im Frühling, als es wieder wärmer wurde und die Schneeschmelze begann, schwollen die Flüsse und Bäche gefährlich an. Dazu kam noch, dass es eines Tages zu regnen anfing und drei Wochen lang nicht mehr aufhörte. Dabei hatte Jodlerseppl gar nicht gejodelt, das hätte er gar nicht gekonnt, weil er an einer hartnäckigen Halsentzündung mit dazugehöriger Heiserkeit litt. Sonnenhansl stellte sich jeden Morgen nach dem Aufstehen ans Fenster und lächelte die Wolken an, was das Zeug hielt, doch umsonst. Die Sonne wollte und wollte sich nicht zeigen. Schließlich geschah, was geschehen musste: Die beiden Flüsse, die um das Dorf flossen, traten eines Nachts mit einem schrecklich lauten Geräusch, das sich wie ein dumpf wütendes Donnergrollen ausnahm, aus ihren Ufern. Das Wasser ergoss sich unaufhaltsam über Wiesen und Felder, drang in die Häuser der Bauern ein und riss von ihrem Hab und Gut alles mit, was nicht nigel-nagel-fest war. So schlimm war die Zerstörung, welche die Überschwemmung anrichtete, dass sie Land und Leute an den Rande des Ruins brachte und in dem Maße, in dem sich die Erde unter den Wassermassen erweichte, verhärteten sich die Herzen der Menschen. Schon bald waren erste Gerüchte zu vernehmen, die behaupteten, die Schuld an der allgemeinen Not wäre allein Jodlerseppl zuzuschreiben. Anfangs wurde bloß hinter vorgehaltener Hand geflüstert, doch nach einigen Tagen, nahm sich niemand mehr ein Blatt vor den Mund. Jodlerseppl wurde offen zum Bösewicht gestempelt und selbst dann in Grund und Boden kritisiert, wenn er selbst dabeistand und mithören konnte. Nach und nach verfielen die drei Geschwister in Niedergeschlagenheit, ja sogar in tiefste Traurigkeit. Jodlerseppl hätte nicht einen Ton aus der inzwischen endlich wieder geheilten Kehle gebracht, selbst wenn er es versucht hätte. Sonnenhansls Herz war so schwer, dass “lächeln” für ihn zum Fremdwort wurde. So sehr er sich auch bemühte, auf seinem verzagten Gesicht erschienen nur groteske Grimassen, die niemanden rühren konnten. Die sonst so funkelnden Äuglein von Schneeliesl waren trüb geworden und ihr schönes glänzendes weißes Fell, auf das sie gewöhnlich so stolz war, sah nun fadenscheinig und matt aus. Unsäglich schmerzte die drei Geschwister die Erkenntnis, wie unbeständig die Liebe der Menschen doch war und wie schnell sie in Hass umschlagen konnte. Nein, sie selbst hätten sich niemals so benommen! Eines Morgens erwachte das Dorf mit einer Inschrift, die irgendjemand an die Mauern des Schulhauses geschmiert hatte. «Beeren raus!» stand da in krakeligen Buchstaben und auch wenn die ungenügenden Rechtschreibkenntnisse des Autors ein etwas schiefes Licht auf den Stand seines Allgemeinwissens warfen, war nicht abzustreiten, dass er mit seinem infamen Gekritzel die Meinung einer satten Mehrheit der Dorfbewohner ausdrückte. Noch am selben Vormittag ließ der Bürgermeister die drei Geschwister zu sich in sein Büro im Gemeindeamt rufen, wo er sie mit einem allzu freundlichen Gruß und einigen falsch klingenden Höflichkeiten empfing. Dann richtete er sich in seinem Stuhl zur vollen imposanten Größe auf, bekleidete seine Stimme mit jenem salbungsvollen Tonfall, den sein Amt und die Gelegenheit verlangten und richtete sich in den folgenden Worten an die drei sprachlosen Plüschtiere: «Meine lieben Teddybären, ich kann euch versichern, dass ich persönlich nichts gegen euch einzuwenden habe. Nichtsdestoweniger ist es meine Pflicht, als Vertreter des Volkes meines Amtes zu walten und ich muss euch sagen, dass euch das Volk nicht länger hier im Dorfe haben will. Natürlich, als gerechter und wohlwollender Mensch, der ich bin, versuche ich immer, unnötige Härte zu vermeiden. Deshalb biete ich euch an, dass die Gemeinde für eure Reisekosten aufkommt und die Fahrkarten nach …» An dieser Stelle hielt er kurz inne, während er im Geiste fieberhaft nach einem Ort suchte, der weit genug entfernt wäre, um das Volk zu befriedigen und seinen Rachedurst zu stillen. Sein Blick wanderte über die Wände des Büros und blieb schließlich an einer Karte von Europa hängen, die dort befestigt war. Er fasste eine Halbinsel ins Auge, die sich am südwestlichsten Ende des Kontinents befand und mit diesem nur über einen nicht besonders breiten Landsteg verbunden war. «… Spanien bezahlt.» fuhr der Bürgermeister fort. «Außerdem bin ich bereit, euch einen kleinen Betrag für zusätzliche Ausgaben zukommen zu lassen.» Diese harten Worte trafen Jodlerseppl wie Peitschenschläge, doch verkniff er sich eine bittere Antwort. Er versammelte seine Geschwister auf dem Flur des Gemeindeamts, wo er mit ihnen einen Notfall-Familienrat abhielt, um zu klären, was in dieser misslichen Lage am besten zu tun wäre. «Geschwister» begann Jodlersepp niedergeschlagen, «all dies ist einzig und allein meine Schuld und ich denke, ich habe nicht das Recht, euch mit mir in ein grausames Exil zu verschleppen. Vielleicht kann ich erreichen, dass man zumindest euch weiterhin hier leben lässt.» «Kommt überhaupt nicht in Frage!» schrie Sonnenhansl auf, «Bruder, wo immer dich deine Wege hinführen mögen, wir bleiben an deiner Seite.» Die kleine Schneeliesl fühlte sich so niedergeschmettert, dass sie kein einziges Wort herausbringen konnte, doch sie stellte sich auf die Zehenspitzen, umfing den Hals Jodlerseppls mit ihren zarten Ärmchen und drückte ihm einen tröstenden Kuss mitten auf seine Nase. «Was sollen wir also tun?» fragte Jodlerseppl ratlos, wenn auch ein wenig erleichtert, wegen der moralischen Unterstützung, die er von seinen Geschwistern erfahren hatte. «Na, die Koffer packen!» antwortete Sonnenhansl umgehend, der damit wieder mal seinen sprichwörtlichen Sinn für das Praktische unter Beweis stellte. 

Bald darauf stiegen die drei Plüschtiere in ein riesiges Flugzeug, das sie nach Spanien brachte, wo sie in Barajas, dem Madrider Flughafen, landeten. Von dem Geld, das ihnen der Bürgermeister gegeben hatte, bzahlten sie die Fahrt mit dem Taxi, das sie mitten im Zentrum der spanischen Hauptstadt absetzte, wo sie im Anschluss daran den schrecklichsten Tag ihres Lebens verbrachten. Überall tummelten sich Menschen, große, kleine, dicke, dünne, junge und alte. Leute, Leute und noch mehr Leute. Unablässig tönten das Gerede und Geschrei der Menschen, die kreischenden Sirenen der Rettung und Feuerwehr und das lästige Hupen der Autos. Der Verkehrslärm war höllisch und die drei Bären, die ihr eigenes Wort nicht hören konnten, hatten alle Mühe, sich untereinander zu verständigen. Unzählige Male verirrten sie sich im unüberschaubaren undurchdringlichen Straßenabyrinth. Man trat ihnen auf die Pfoten, bestahl sie und einmal wurden sie sogar in der U-Bahn von einem schlecht gelaunten Wagenführer getrennt, weil er die Türen schloss, bevor alle drei Bären in den Zug springen konnten. Allein ihrem Glück hatten sie es zu verdanken, dass sie sich an der nächsten Haltestelle wieder trafen. In der ganzen Stadt gab es keinen einzigen Winkel, wo man sich vor dem pulsierenden Trubel in Sicherheit bringen konnte. Die Teddybären waren bereits erschöpft, als Schneeliesl beim Versuch, eine Straße zu überqueren, die so breit war, wie ihr heimatliches Tal, beinahe von einem Auto erfasst und überfahren worden wäre. Im letzten Moment riss sie Jodlerseppl zurück und Schneeliesl brach nun in herzzerreißende Tränen aus, die nicht und nicht mehr versiegen wollten, während sich ihre beide Brüder nur mit Mühe vom erlittenen Schreck erholen konnten. Schließlich machten die drei Bären einen Park ausfindig, wo sie zumindest ein bisschen Frieden finden konnten, doch selbst hier gab es zu viele Menschen, deren Hunde sie fortwährend beschnupperten und mit ihren feuchten Schnauzen anstupften. Sie setzten sich auf eine Bank, um sich auszurasten. Nach einer Weile hatte Jodlerseppl genügend Kraft gesammelt, um das Wort ergreifen zu können. «Geschwister» verkündete er, «ich glaube, die Stadt ist nichts für uns.» «Das kann man wohl sagen» stöhnte Schneeliesl ermattet. «Was sollen wir nur tun?» fragte sich Jodlerseppl. «Suchen wir die Berge!» schlug Sonnenhansl vor, der sich - wie immer - von einer überaus praktischen Seite zeigte. Damit waren alle drei Geschwister sofort einverstanden und machten sich auf die Suche nach Chamartín, dem großen Madrider Bahnhof, wo sich Jodlerseppl an einen freien Schalter begab. «Können Sie uns drei Fahrkarten verkaufen, und zwar an einen Ort, wo es Berge gibt?» fragte er den Bahnbeamten. «Und wo es nicht so überfüllt mit Leuten ist» fügte Sonnenhansl hinzu. «Und wo es im Winter schneit» tönte ein schwaches Stimmchen von unten her, das von Schneeliesl, obwohl sie der Mann am Schalter nicht sehen konnte, weil sie so klein war, dass ihr Köpfchen nicht bis ans Fenster reichte. «Wieviel Geld habt ihr denn?» wollte der Fahrkartenverkäufer wissen. Da steckte Jodlerseppl seine Pfoten tief in die Taschen seiner Lederhose, zog den spärlichen Inhalt hervor, der nach dem erlittenen Diebstahl noch dort verblieben war und legte ihn aufs Schalterbrett. «Na, viel ist das nicht gerade» brummte der Bahnbeamte, doch drückte er auf ein paar Knöpfe der geheimnisvollen Maschine, mit der er arbeitete und zog endlich drei Fahrkarten hervor. «Nach León» sagte er in abschließendem Tonfall und damit war für ihn die Angelegenheit erledigt. Einige Minuten später saßen die drei Plüschtiere in der Eisenbahn und fuhren Richtung León, eine Provinz, in der es tatsächlich viele Berge gibt. 

In der Hauptstadt León stiegen sie aus und marschierten von dort ins offene Land hinaus. Hin und wieder hatte ein Lastwagen- oder Traktorfahrer Mitleid mit ihnen und nahm sie ein Stück des Weges mit. So erreichten die Teddybären schließlich ein kleines Dorf in der Region “La Vega” der Provinz León, dessen Namen wir hier nicht nennen wollen, aber wir können euch verraten, dass er mit dem Buchstaben “S” begann. 

Dieses Dorf, wo die drei Teddybären fortan ihr Glück versuchen und möglicherweise ihr neues Heim finden wollten, hatte einiges mit ihrem Geburtsort gemeinsam. Es gab Berge, wenngleich sie nicht so hoch und nicht so nahe waren, wie in ihrer geliebten Tiroler Heimat. Dann war hier ein Fluss, der sich gemächlich durch das Dörfchen wand, was den Geschwistern besonders gut gefiel, trotz gewisser böser Erinnerungen an die katastrophale Überschwemmung in ihrer Heimat und die üblen Folgen, welche diese für sie selbst gebracht hatte. Andererseits gab es aber auch Dinge, die sich von allem, woran die Geschwister gewöhnt waren, deutlich unterschieden. So waren etwa die Häuser aus Ziegeln gebaut, die oft nicht einmal übertüncht waren und die nüchterne, ganz aus Stein gefertigte und mit einer einfachen luftigen Glockenwand gekrönte Kirche hatte nicht die geringste Ähnlichkeit mit der schmucken weißen Barockkirche mit ihrem grünbemützten koketten Türmchen, in der sie getauft worden waren. Ein netter Lastwagenfahrer hatte ihnen viel Gutes über diese mit üppigen grünen Feldern durchzogene Gegend und ihre friedliebenden freundlichen Einwohner erzählt. Und um die Wahrheit zu sagen, so pflegte es wirklich zu sein. Na ja, fast immer. Aber was für eine Enttäuschung erwartete unsere drei Teddybären bei ihrer Ankunft in dieser Ortschaft, denn damals folgte nichts seinem gewohnten Lauf. Gerade in dieser Zeit herrschte im gesamten Gebiet die furchtbarste Dürre, an die sich die Einheimischen erinnern konnten. Eine gnadenlose Sonne brannte auf die durstige Erde nieder, die mit tiefen Rissen zerfurcht war und aus der nur ein paar traurige magere und halb vertrocknete Halme hervorlugten, welche die bevorstehende verheerende Missernte ankündigten. Einige halbverhungerte resignierte Vögel überkreisten die kahle desolate Erde auf ihrer fruchtlosen Suche nach Nahrung. Ein Hirte trieb eine Herde Schafe durch den Ort, die so mager und schwach waren, dass sie kaum genug Kraft zum Blöken hatten und die Dorfbewohner befanden sich schon seit Wochen in ständigem Streit und Zank und kämpften verbittert um das spärliche Gießwasser. Mehrmals war es deswegen sogar schon regelrecht zu Handgreiflichkeiten gekommen. Diese trübselige Atmosphäre bot sich den drei Geschwistern bei ihrer Ankunft und sogleich plagte sie ganz fürchterliches Heimweh. «Mal sehen, ob die mich hier wegen zu viel Sonnenschein davonjagen werden» stieß Sonnenhansl zwischen den Zähnen hervor. «Hier werde ich nie wieder meine Mütze aufsetzen können» beklagte sich Schneeliesl, während sie sich mit einem Ende ihres Schals, den sie im Straßenstaub hinter sich herschliff, weil er ihr bei dieser Hitze viel zu schwer in den Armen lastete, die feuchte zarte Stirn trockentupfte. «Nun jammert doch nicht gleich so!» rügte Jodlerseppl etwas ungeduldig, «Vielleicht kann ich doch diesen Leuten helfen». Damit stellte er sich mitten auf dem Dorfplatz auf, genau gegenüber der Kirche, und in seiner gewohnten Manier setzte er zu einer gewaltigen Jodlertonfolge an, nur dass sich die Schallwellen diesmal zur Kirche hin fortpflanzten und nicht zur Wildspitze. Auch antwortete ihm kein Echo, denn die Berge, wo ein solches entstehen können hätte, waren viel zu weit weg. HOLAREIDIIII, sang der Bär und gleich darauf ließ er ein zweites HOLAREDIJIII erklingen. Die spanischen Bauern ließen liegen und stehen, womit sie gerade beschäftigt gewesen waren und starrten ihn fassungslos und mit offenem Munde an. Niemand hatte in dieser Gegend je schon irgendetwas auch nur annähernd Ähnliches zu Ohren bekommen. Die beiden Störche, die auf der Spitze des Glockenturms nisteten, schreckten hoch und flogen davon, wobei sich eine ganze Menge kleiner Ästchen aus ihrem Nest lösten und wie feiner Regen von der Kirchenspitze zu Boden rieselten, als wollten sie ankündigen, was gleich darauf geschehen sollte. Die Kirchentür öffnete sich und heraus trat der Pfarrer, der die herabgefallenen Ästchen von seiner Soutane schüttelte, um nachzusehen, was den Aufruhr vor dem Gotteshaus verursacht hatte. Er warf Jodlerseppl einen strengen missbilligenden Blick zu, schüttelte den Kopf und verkündete sein Urteil: «Der ist ja verrückt, dieser Bär!» Genau in diesem Augenblick fiel der erste Regentropfen vom vorhin eben noch so blauen Himmel herab – übrigens ein ziemlich dicker Regentropfen, das können wir euch versichern – bahnte sich seinen Weg durch die staubige Luft und zerplatzte auf der Zunge des Pfarrers, inmitten des Buchstabens “ä” des Wortes “Bär”, bevor der Priester noch Zeit gefunden hatte, seinen Mund zu schließen. Immer dichter fielen nun die Regentropfen und je lauter sich Jodlerseppl hören ließ, desto stärker wurde der Schauer. Die Menschen hoben ihre Gesichter zum Himmel und begrüßten das kostbare Nass, wie die Sonnenblummen, die ihr Antlitz den lebensspendenden Sonnenstrahlen zuwenden. Die Erde räkelte sich genießerisch im lang ersehnten Bade, während das heilsame Wasser langsam ihre Wunden schloss. Sie trank, und trank, und trank. Die Kinder ließen ihre “Gameboys” fallen, mit denen sie sich bis dahin gelangweilt hatten und lachten, tanzten, sprangen in die Pfützen, die sich schnell zu bilden begannen, patschten darin umher, spritzten einander an und vergnügten sich, wie schon lange nicht mehr. Es regnete und regnete, den ganzen Tag und die ganze Nacht. 

Am nächsten Morgen, es war Sonntag, begaben sich die Dorfbewohner zur Kirche, um der Messe beizuwohnen. Sie machten noch immer lange Gesichter, denn die Streitigkeiten hatten so lange angehalten, dass sie nicht so schnell zu vergessen waren und die gutnachbarschaftlichen Beziehungen und Freundesbande von früher wiederherzustellen, war keine leichte Aufgabe. Im Bogengang der Kirche fanden sie die drei Teddybären vor, die sich dort untergestellt hatten, um sich vor dem Regen zu schützen und die Nacht im Trockenen zu verbringen. Sonnenhansl begriff, dass nun er mit seinen Künsten an der Reihe war. Sein Gesicht erglänzte in einem seiner leuchtendsten und unwiderstehlichsten Lächeln und wer von seinem Blick getroffen wurde, der hatte ein Gefühl, als ob ein Lichtstrahl durch seine Augen in seinen Körper dringen und sich von dort den Weg direkt zu seinem Herzen bahnen würde, während sich eine Welle warmer Glücklichkeit in ihm ausbreitete. Nach und nach wurden die Gesichter der Bauern immer fröhlicher. Sie fingen an, sich zu begrüßen und freundliche Worte auszutauschen. Während der Messe hörte der Regen auf und als die Dorfbewohner aus der Kirche traten, erwartete sie ein milder goldener Sonnenschein, der freilich nichts mit der rächerischen, alles versengenden Feuersonne zu tun hatte, welche die Erde bis zum Vortag vom Himmel herab bestraft hatte. Niemand wusste so recht, wie ihm geschah, aber den ganzen Tag lang sah man nur glückliche Gesichter, die Leute umarmten und küssten einander und schüttelten einander die Hände. 

Mit der Zeit wurde den Bauern bewusst, dass diese sonderbaren Ereignisse auf die Zauberkraft der Teddybären zurückzuführen waren. Allmählich kehrten im Dorf die gewohnten Umstände zurück, sowohl was das Wetter betrifft, als auch die menschlichen Beziehungen. Die Ortseinwohner, im allgemeinen rechtschaffene und liebenswürdige Leute, zeigten den neu zugezogenen Plüschtieren ihre Dankbarkeit, indem sie ihnen Haus und Heim anboten, sie in ihre Gemeinschaft aufnahmen und freundschaftlich, aber doch auch respektvoll behandelten. Im Winter, als sich ihnen dazu noch Schneeliesls besondere Fähigkeiten offenbarten und es im Lande endlich wieder so viel schneite, wie in den guten alten Zeiten, an die sich nur noch die Ältesten erinnern konnten, kannte die Freude keine Grenzen mehr und es fiel niemandem mehr ein, daran zu zweifeln, dass die Bären für das Dorf “S” einen wahren Segen darstellten.

Es näherte sich der erste Jahrestag der Ankunft unserer kleinen Freunde und die Dorfbewohner überlegten hin und her, wie sie diesen Anlass am besten feiern könnten. Endlich hatte einer von ihnen eine glänzende Idee, die von der Gemeinschaft sofort gutgeheißen wurde: Sie wollten den Teddybären ein Denkmal errichten, und zwar an der repräsentativsten Stelle des Ortes, also mitten auf dem Dorfplatz. Um die dafür notwendigen Geldmittel aufzutreiben, organisierten sie ein gemeinsames Essen aller Ortseinwohner, dessen Erlös für die Denkmalerrichtung verwendet werden sollte. Tatsächlich nahmen wirklich alle daran teil, niemand fehlte und alle griffen tief in ihre Taschen, um Geld zu spenden, sogar die unverbesserlichsten Geizhälse unter ihnen. Der Künstler des Dorfes, ein junger Mann mit langen Haaren, der zwar nicht von jedermann so richtig verstanden wurde, der aber dennoch und immerhin ein Künstler war, sollte die Statue entwerfen. Er hatte schon bei einer früheren Gelegenheit seine künstlerischen Fähigkeiten unter Beweis gestellt, als er ein Wappen für den Sport- und Kulturverein der Gemeinschaft gezeichnet hatte, das – bei den meisten - großen Anklang gefunden hatte. Am nächsten Samstag versammelten sich die Bauern am Dorfplatz, um alle gemeinsam Hand anzulegen. Die einen hoben eine Grube für das Fundament aus, die anderen mischten Zement und wieder andere schnitten die Steinblöcke zurecht, aus denen dann der Künstler die Figuren schlug, welche die drei Teddybären darstellen sollten. Wer nicht direkt am Bau mitarbeitete, der kümmerte sich um die Verpflegung, buk Pasteten, bereitete Tortillas zu und schnitt Paprikawurst und Schinken auf. All dies brachte man zusammen mit Unmengen von Bier, Coca Cola und Fanta Orange den ebenso fleißigen, wie hungrigen und durstigen Denkmalerrichtern. Am Sonntag war die Statue, der die Ortseinwohner den hochtrabenden Namen “Denkmal zur Danksagung an den jodelnden Teddybären” gaben, schon fertig und wieder wurde zu ihrer Einweihung ein Fest gefeiert, mit Musik, Tanz, Luftballons, Schießbuden und Zuckerwatte.

Und so sind wir auch schon am Ende der Geschichte angelangt. Nichts weiteres haben wir euch zu berichten, außer vielleicht, dass die drei Plüschtiere für ihr restliches Leben in diesem kleinen Dorf in León verblieben, dessen Name mit dem Buchstaben “S” begann. Sie leisteten einen nicht zu unterschätzenden Beitrag zur Verbesserung der Wetterverhältnisse und zum wirtschaftlichen Aufschwung des Dorfes. Sie waren stets ganz restlos glücklich, wie auch alle übrigen Dorfbewohner. Nun ja, fast immer. 

ENDE

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